vita

Spierling-Vita aus unplugged. Spierling | Schubert | Wilcken – Kunst trifft Lyrik trifft Musik

Text: Thomas Schubert

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Spierling beobachtet während einer Zugfahrt einen Gitarristen bei Trockenübungen. Fast wie Luftgitarre spielen, nur professionell eben. Bizarr, aber beeindruckend. Das Staunen weckt Begehren.

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Raimund Spierling

Home beat home – James Last und Tanzmusik aus Opas Musiktruhe bekommen lautstarke Konkurrenz. Die erste eigene Schallplatte Ob-la-di-ob-la-da zieht bei Spierlings ein. Dann schwebt auch noch der große Rockzeppelin mit Page und Plant an Bord übers Haus. Jetzt ist es mit der heimischen Ruhe für die Elterngeneration ganz vorbei. Künstlerisch geprägt wird das Familienleben durch das Schaffen von Hubert Spierling, der mit seiner Glasmalerei bis heute hunderte Gebäude, vorzugsweise Kirchen, in magisches Licht getaucht hat.

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love supreme

Jugend forscht – eigene Fingerübungen auf der ersten akustischen Gitarre, Lagerfeuerlieder und Sauerlandblues. Spontaner Gedanke: elektrisch wäre noch geiler. Ergo: experimentelle Soundcollagen mit Vierspurtonbandgerät und allem, was Geräusche macht, eher sphärische Klänge als Musik. Kraftwerk und Tangerine Dream­ lassen grüßen.

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Plattendeals auf dem Sofa – kein Musikladen weit und breit im heimischen Menden, aber ein fahrender Music Dealer rettet die musikbegierige Jugend, Spierling inklusive. Die ersten Plattenkäufe im Wohnzimmer-Ambiente eröffnen eine neue progressive Welt. 

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Bürgerschreck im Sauerland – nein, nicht Spierling, sondern Frank Zappa, der amerikanische Musikintellektuelle mit provokanten Rebellengesten und komplexesten Songstrukturen („Ich habe das wirklich geliebt und mich gefragt, wie man nur einfache Popmusik konsumieren konnte“) dreht sich unaufhörlich auf dem Plattenteller. In der Essener Grugahalle dann endlich auch Zappa live. Zappa und Dada befreien den Geist, konzertante Psycho-Pop-Werke wie Atom Heart Mother erweitern das Herz und beflügeln die Künstlerseele. In einer Ausstellung mit großformatigen Bildern rechnet Spierling mit der Heimatstadt Menden ab.

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Ton, Steine, Scherben, Grobschnitt – das erste Konzert auf dem Fußballplatz. Statt love and peace Publikumsbeschimpfungen von Rio Reiser, der dennoch später „König von Deutschland“ wird. Grobschnitt aus der benachbarten „Großstadt“ Hagen spielen im Mendener Pfarrkeller die legendäre „Solar Music“. Der perfekte Bühnenshowmix aus Prog-Mucke mit langen Improvisationen, optischen Effekten, Theater und fröhlichem Klamauk.

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Druckreif – Ausbildung zum Drucker (letzte Buchdruckergeneration Deutschands), Begeisterung für Bleibuchstaben, dicke schwarze Farbe und Schriftkunst. Fasziniert von der „Linotype“-Setzmaschine und dem „Heidelberger Tiegel“, die den Wandel erleben vom Arbeitsgerät zu Maschinenskulpturen. Dada dreidimensional, Tinguely sei Dank. Gebrauchte Druckmaschinen, Blei- und Holzlettern für die Produktion von Druckgrafik und Schrift-Druck-Werken werden später zu Spierlings künstlerischen Begleitern. 

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All that Jazz – Spierling im Fieber der musikalischen Erweckung und Entdeckung: Coltrane, Parker, Davis, Monk, Baker, Nina Simone. Die exquisite Vinylsammlung füllt sich mit den Klassikern und Könnern des Jazz von Blue Note bis Verve.

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Szeneparadiese bei Nacht – das „Sacre Coeur“, ist die Ruhrpottinstitution für Musikfans der eher dunkleren Klänge. Spierling tanzt die Nächte durch. Auf dem Heimweg „Milwaukee“ von Al Jarreau im Ohr. Kurz darauf der legendäre Düsseldorfer Club „Creamcheese“ mit den progressivsten Sounds und der besten Anlage weit und breit. Hier gibt sich die Kunstszene von Beuys bis Uecker die Klinke in die Hand. Nur einen Steinwurf entfernt auf der Ratinger Straße geht mit den Toten Hosen der Punk ab und im Dr. Jazz spielt Helge Schneider. Was? Na, großartigen Jazz eben! 

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Junger Wilder – Design-Studium in Krefeld. Als guter Zeichner tobt sich Spierling zunächst im Krefelder Zoo aus, den Tierskizzen folgt eine Sammlung von in Cafés und auf Reisen verewigten Menschen, darunter auch die ersten von vielen „bühnenreifen“ Musikerstudien. Prof. Manfred Vogel weckt sein Interesse für großformatige Malerei, die eigenen Bilder passen nun nicht mehr in einen Pkw. Spierling freundet sich mit der Kunst Robert Rauschenbergs, Francis Bacons und der Neuen Wilden an und wird selbst einer, der sich in Ateliergemeinschaften und vielen Ausstellungen austobt. 

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Dada in Krefeld – für das Programm der Krefelder Kulturfabrik entwirft Spierling wilde Plakate und das immer noch bestehende Logo im gelb-schwarzen Warnschild-Design, in der seine Liebe zum Dada Ausdruck findet. Jahre später kehrt er mit Thomas Schubert in die dortige Galerie zurück. Die beiden präsentieren „Narr mit Wurst“ – bissige Collagen des rheinischen Frohsinns, live gezeichnet und getextet während mehrerer Kölner Rosenmontagszüge.

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Kreuzberger Nächte – Spierling erlebt die aufregende Berliner Vorwendezeit und produziert große Menschenbilder. Die heimliche Hauptstadt wird für ihn zum Sprungbrett für Kunstreisen nach Island, Marokko, in die Türkei, durch Wüsten, zu Vulkanen, ins Hochgebirge. Es entsteht Malerei von Extremlandschaften im Großformat. Materialschlachten mit hohem Aufwand vor Ort in den Bergen, auch logistisch echte Abenteuer. 

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Schlaflos in New York – der einjährige Studien- und Arbeitsaufenthalt im Big Apple wird zum Trip mit offenen Augen und wilden Malerhänden durch die New Yorker Jazz Clubs. Zu Gast in Lester Bowies Wohnzimmer Village Vanguard, Carla Bley im Blue Note, Don Cherry im Birdland. Immer wieder Open Air Konzerte im Central Park. Stets dabei ist Spierlings Skizzenbuch, in dem er mit schnellem, unverwechselbarem Strich seine Live-Highlights verewigt. Ein Fundus von Hunderten von Motiven, die irgendwann für unplugged wiedererweckt werden.

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Blow-ups auf Papier, übermalte Schwarzweißkopien, Ausstellung in NYC. Weitere Reisen in den Südwesten der USA, Wüsten, Schluchten, Berge und mit dem Fahrrad durch Monument Valley. „Color California Dreaming“ auf dem Highway Number One.

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Mailartistik – die Mailart findet ihren Weg in die Welt und in Spierlings Künstlerherz. Das schnelle, kostengünstig herzustellende Medium, all die Stempel (Spierling besitzt und benutzt hunderte), Schnipsel, Farbe aus Tuben, kopierte Skizzen, Briefmarke drauf und ab die Post – genau sein Kunstding. Auch wenn manche Botschaft deutlich zeitverzögert eintrifft.

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Zurück in Düsseldorf – mit Amerika-Spirit, Fax, Schwarzweißkopierer und US-importiertem Mac im Gepäck. Start up als Garagenfirma in Düsseldorf. Es beginnt eine arbeitsreiche, erfolgreiche Zeit als Designer und Illustrator mit eigenem Strich und unverwechselbarer Handschrift. Regelmäßige Besuche bei den Jazzfesten in Moers, Leverkusen, im Düsseldorfer Hofgarten und bei Klaus Doldingers Jazz-Rally – die Skizzenbücher füllen sich weiter. Im neuen Atelier entstehen neben eigenwilliger Werbung neue Kunstprojekte wie „Leibgericht“, „The Volcano Show“ und „unplugged“. In enger Partnerschaft mit Thomas Schubert folgen „Narr mit Wurst“, „Der Berg ruft“, „Küchenbilder“, „Touristics“, „Flowerpower“ und „Seestücke“.

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Hals über Kopf unsterblich verliebt – Spierling entdeckt „Paula“. Die Schönheit namens Gibson Les Paul zieht im Dachgeschoss ein. Durch das eigene Musizieren versteht und erlebt Spierling Musik ganz neu. Dabei entdeckt er auch seine Begeisterung für die Klassiker und Wilden aus dem Genre Blues/Rock wieder: Eric Clapton, Jack Bruce, Gary Moore, Stevie Ray Vaughan, Rory Gallagher, Jack White …

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Berliner Kulturluft – Spierling zieht es mitsamt Familie in die Hauptstadt und Kulturmetropole – das Atelier in Düsseldorf bleibt für Projekte und Ausstellungen bestehen. In der alten, neuen Heimat entwickelt er „Overdose-Berlin“ – Objektkunst im Pop-Art-Stil für den öffentlichen und privaten Lebensraum. Spierling lernt den Musiker Christoph Wilcken kennen und schätzen. Es entsteht die Idee zu einer Collage aus Bild, Text und Musik, um sich vor der Magie der Musik und vor den großen Musikern zusammen mit Thomas Schubert und Christoph Wilcken im Rahmen von unplugged zu verneigen. Unplugged 2.0 lässt nicht lange auf sich warten. David Bowies Tod ist die Initialzündung für die Serie „Epitaphs“, visuelle Nachrufe für verstorbene Künstler wie Amy Winehouse, Leonard Cohen, Lenny Kilmister, B.B. King …, garniert mit Texten von Schubert und Lyrics der Musiker selbst. Ende offen.

Thomas Schubert

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Bye bye Düsseldorf, hello Hauptstadt. September 2022. Das Düsseldorfer Atelier ist mit dem Poulenc-Projekt und der Präsentation der brasil-Landschaftsarbeiten nach 25 Jahren Vergangenheit – Spierlings Kunst lebt weiter. „Ganz herzlichen Dank an alle, die mich in all den Jahren unterstützt und inspiriert und mir zuletzt mit Rat und Tat geholfen haben. Schön war’s“. ®

Ganz herzlich bedanke ich mich bei meinem langjährigen Freund und Mitstreiter Thomas Schubert für die gemeinsamen Projekte und seine geschliffenen Text von zart bis provokativ. Viele SchubertTexte durften in meine Arbeit einfließen und haben mich stets inspiriert. Meine Kunstkonzepte und Arbeiten haben Thomas zu neuen Texten angeregt. Das Ergebnis waren Text-Bild-Collagen wie Küchenbilder, Seestücke, Flowerpower, Narr mit Wurst, Unplugged/Epitaphs. Mit der schmerzhaften Auflösung des Düsseldorfer Ateliers endet unsere Zusammenarbeit, aber vielleicht, die Altmeister der Musik machen es vor, gibt es irgendwann im Alter ein Revival. „Rock’n rollers never die“. RSP

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bye bye atelier düsseldorf